Spinn-Off: 01 Agent Eightleg, im Auftrag der Königin

Nebel waberte zwischen den anderen Lieferwagen auf dem verlassenen Parkplatz und ein fahler Mond erhellte die Winternacht. Jimmy wartete noch einige Augenblicke, ehe er sich wirklich sicher war, alleine zu sein. Der Übergabeort war perfekt gewählt worden, einige Kilometer außerhalb der Stadt, verlassen und abseits der nächsten Wohngegend. Hierher verlief sich niemand. Wer diesen Ort aufsuchte, musste schon einen guten Grund haben. Und wie Jimmy die Lage einschätzte, gab es niemanden, der einen solchen Grund hatte. 

Nur er. Sein Grund war seine Mission. 

Seit Tagen befand er sich bereits auf dem Festland, nachdem die Fähre sein Transportmittel nach Frankreich übergesetzt hatte. Kurz hinter der deutschen Grenze musste er den LKW wechseln. Ab dann hieß es nur noch warten. Warten und über das weitere Vorgehen nachdenken. 

Nachdem er schließlich sicher war, dass wirklich niemand hier war, seilte er sich beherzt ab, zwei seiner Beine über die Augen gelegt. Das hasste er an Außeneinsätzen so dermaßen. Immer hatte er es mit Höhe zu tun – es lag auch ein wenig in der Natur der Sache. In seiner Freizeit sah er sich gern Spionagefilme an und beneidete die Menschen um ihre Schweißdrüsen. Das hier wäre eine der Gelegenheiten, bei der er sie ganz sicher einzusetzen gewusst hätte. 

Aber es dauerte nicht lange, da spürte er den Asphalt unter sich und konnte die Augen wieder auf seine Umwelt richten. Jeden Schatten nutzend huschte er weiter. Der Übergabeort war klar auf seiner Smartwatch markiert, die er an einem seiner Beine trug. Hinter einigen Grashalmen lag der kleine Koffer. 

Er war mit den üblichen Sicherheitsvorkehrungen versehen. Zuerst musste Jimmy einen achtstelligen Code eingeben, dann öffnete sich eine Abdeckung, hinter der sich der biometrische Scanner befand. Jimmy hielt eines seiner Augen daran und ein Piepen ertönte. Das Schloss sprang auf und Jimmy öffnete den Koffer. Darin befand sich eine kleine Linse, die er sich auf eine Pupille schob. Er schloss alle anderen Augen, damit ihm bei der Übertragung nicht schwindlig wurde.

»Agent Eightleg, die Koordinaten für ihre Mission lauten 48° 45′ 51.458″ N, 11° 25′ 13.379″ E. Dort treffen Sie ihren Kontakt und Ausrüstung. Dieses Band zerstört sich in zehn Sekunden von selbst.« 

Die Übertragung endete und Jimmy beeilte sich, die Linse zu entnehmen und ins Gras zu werfen, wo es ein kurzes Knistern gab, als sie sich vernichtete. Hinter ihm näherte sich ein Fahrzeug und er hüpfte in den nächsten Schatten. Das Auto entsprach der Beschreibung, eine silberne Limousine. Der Wagen hielt an und die Fahrertür wurde von einem großen Typen mit Locken geöffnet. 

»Was sollen wir denn hier?«, wollte er wissen. Jimmy konnte niemanden im Wagen ausmachen. 

Dann hörte er ein feines Signal und er atmete erleichtert auf. Stridulation war schon eine feine Sache unter Spinnen. Jimmy antwortete, indem er mit seinen Peripalpen eine Antwort erzeugte. Für den Menschen waren die Töne viel zu hoch, also schöpfte der Lockenkopf keinen Verdacht. Jimmy nahm alle acht Beine in die Hand und rannte zum Fahrzeug. Beherzt schoss er aus der Nähe einen Faden an der Fahrertür hoch und zog sich hinauf, die Augen wieder verschlossen. Diese verflixte Höhenangst!

»Alfons, das war mit Abstand das Seltsamste, was du bisher von mir verlangt hast«, sagte der Mensch und stieg offenbar wieder ein. Jimmy wurde durchgerüttelt, als der Typ die Tür zuschlug und erst da traute er sich wieder die Augen zu öffnen. Er hing jetzt knapp über dem Einstieg und ließ sich in den Fußraum fallen. Da sah er auf dem Beifahrersitz Alfons, ein Cousin aus Deutschland. Er blickte zu Jimmy runter und zwinkerte ihm zu. 

Jimmy zwinkerte zurück. Der erste Teil seiner Mission war erfolgreich, er hatte einen Unterschlupf.