
Der Urlaub war vorbei, Alfons und ich fügten uns wieder in unseren Alltag ein, wie Spinat in den Zahnzwischenraum vor einem Vorstellungsgespräch. Eines Tages saß er vor mir auf dem Brett im Bad, auf dem auch der Zahnputzbecher stand und sagte: »Du hast mir im Urlaub das mit den Phobien erklärt. Weißt du noch?«
»Jup«, antwortete ich und verteilte sorgfältig Zahnpasta auf meiner Zahnbürste.
»Ich hab in meinem Freundeskreis rumgefragt. Heute würden sie vorbeikommen.«
»Wer kommt vorbei?«, wollte ich wissen, ängstlich berührt.
»Na, meine Kumpels.«
»Kumpels, wie … du?«
»Wie meinst du das?«
»Na … achtbeinige Kumpels?«
»Ernsthaft? Du suchst dir deine Freunde anhand der Anzahl ihrer Beine aus? Schon schräg, findest du nicht?«
Ich rollte unwillig mit den Augen. »Na, sind deine Kumpels alle Spinnen?«
»Ach so. Nee. Da sind ein paar echte Freaks dabei.«
»Na prima«, antwortete ich und schob mir die Zahnbürste in den Mund.
»Weißt du was? Wir fangen erstmal klein an. Mein Cousin aus England ist gerade beruflich in der Stadt und dazu kommen noch drei engere Freunde. Ok?«
»Wie meinst du … Cousin? Also … mit dir … verwandt?«
Alfons brummte zur Bestätigung.
»So wie … Erna?«
Alfons lachte, so als hätte ich etwas unglaublich Lächerliches gesagt. Aber für mich ging es jetzt um Leben und Tod. »Niemand ist wie Erna, glaub mir.«
Damit ließ er mich stehen und seilte sich ins Badschränkchen ab, theatralisch. Irgendwie.
Wenig später saßen wir also alle am Tisch, und jeder dieser … neuen Freunde hatte ein dampfendes Heißgetränk vor sich. Ich musste eingestehen, dass es nur halb so schlimm war für diese erste Sitzung.
Mein phobisch-panisches Hirn hatte sich bereits Bilder ausgemalt, wie sie sich nicht mal Ridley Scott trauen würde zu verfilmen. Aber da waren keine schrecklichen Alienwesen an meinem Tisch versammelt. Rechts von mir saß Ernesto, ein Enterich. Mit seinen drolligen Augen sah er mich über die Tasse hinweg an. Als ich ihm Brot anbot, hieß er mich einen spezifistischen Faschisten. Ernesto litt unter Aviophobie. Was das sei, fragte ich. Ob ich das Kommunistische Manifest gelesen hätte, war seine Antwort.
Links saß Louise. Louise war für mich besonders faszinierend, hatte sie doch sechs lange Beine und sah erstmal objektiv betrachtet gar nicht so anders aus als Alfons. Dennoch triggerte mich ihre Erscheinung in keinster Weise. Aber ihr Schicksal war irgendwie herzerweichend, denn als Ameise mit Soziophobie lebt man quasi konstant in Angst und Schrecken. Sie ist eigentlich sehr fleißig, komme aber immer als letzte zurück in den Bau, um wenigstens ein wenig den Massen zu entgehen. Und deswegen galt sie bei ihren Chefs als faul, worunter sie sehr litt. Gegenüber saß Elsa, eine Stadttaube und gurrte. Als Taube mit Agoraphobie war man schon sehr isoliert.
Von einem Balken an der Decke hing Alfons und irgendwie hatte ich bis zu diesem Moment keine Vorstellung davon, wie eine selbstgefällige Spinne aussah.
»Wo ist dieser Cousin?«, wollte ich … eigentlich nicht wissen.
Alfons grinste noch selbstgefälliger, als mich etwas am Finger berührte. Wie unter Trance blickte ich zu meiner Hand und da war er … Alfons’ Cousin. Noch so ein achtbeiniger Albtraum in meiner Wohnung.
»Gestatten? Eightleg, Jimmy Eightleg. Agent Ihrer Majestät«, sagte er mit leicht britischem Akzent.
»M … M … M … Majestät?«
Alfons lachte. »Nicht Erna.«
»Die echte Königin«, sagte Jimmy und zwinkerte mit einigen seiner Augen.